Buchführung in der Wüste

Punkt acht Uhr stand der Mann mit Kalaschnikow auf der Matte am Zollhaus. Er war unser erster Eskort-Mann, der im Frosch mitfahren musste. Wir kamen leider nicht drum herum. Das dachte er wahrscheinlich auch, als er Ole sah. Ich saß also nun in Oles Körbchen als Sicherheitsabstand zwischen dem bösen Hund und dem ängstlichen Pakistani. Der Pakistani sprach nicht. Auch kein Englisch. Die einzige Konversation für die nächsten 40km war ein Zeigen auf die „heilige Tradition“, die vorne neben dem Radio hing. „Gurus in India“. Das reichte ihm als Erklärung. Nach 40km hing ein Seil über der Straße. Wir mussten aussteigen. Unser erster Eskort-Mann war wahrscheinlich froh, dass er ab jetzt keinen Hund mehr im Rücken hatte, denn nun war Eskorten-Wechsel. Aber nicht, bevor wir uns nicht zum Tee trinken in die klitzekleine Lehmhütte der Kontrollstation gesetzt hatten, in der nur zwei Plastikstühle Platz hatten.. Hier mussten wir uns auch zum ersten Mal selber in ein Buch eintragen. Name, Passnummer, Datum, Kennzeichen und natürlich das Land. Wir blätterten ein wenig im Buch herum und schauten, wer in den letzten Wochen sonst noch eskortiert wurde. Es waren mehr als erwartet - aus Österreich, Holland, Frankreich, Schweiz und Deutschland.

Unser zweiter Beschützer war im Gegensatz zu seinem Vorgänger sehr viel redefreundlicher. Auf seine Kalaschnikow, einem 57er Modell (1957), war er sichtlich stolz. Endlich kam auch Tills großer und schwerer Welt-Reise-Atlas zum Einsatz: wir konnten unserem Security-Mann unsere ganze Reisestrecke zeigen. Mit dem Rest des Buches, das er nun grob durchblätterte, konnte er irgendwie gar nichts anfangen, dabei war es voll mit bunten Bildern aus der ganzen Welt  Er blieb für ca. 60km bei uns, dann wurde getauscht. Wieder gab es ein großes Buch, in das wir unsere Daten eintragen mussten. Dann stieg ein 21-jähriger mit Wumme bei uns ein. Er sprach auch nicht wirklich, aber fotografierte. Und das sehr spontan, denn ich hatte innerhalb von Sekunden sein Handy direkt vor meiner Nase. Er fragte nicht, ob er mich fotografieren dürfe, er tat es einfach und mehrfach. Mein Kopf erschien danach auf seinem kompletten Display. Unscharf. Aber das war ihm egal. Dann war Till dran. Auch Till wurde das Handy mit einem Abstand von 10cm vor das Gesicht gehalten. Danach war Tills Nase und Mund drauf und der Sicherheitsbeauftragte unendlich glücklich und wir konnten uns das Lachen nicht mehr verkneifen. Mit dem vierten Mann auf unserem Beifahrer-Sitz gab es auch nicht viel zu quatschen. Als der Tacho vom Frosch unsere 10.000km Hürde anzeigte, musste natürlich ein Foto gemacht werden. Wir erklärten gar nicht erst, warum, er sprach ja eh kein Englisch. Während der ganzen Fotoprozedur verzog er keine Mine. Gut, er war ja auch nicht zum Spaß da. 

 

Während der ganzen 300km nach Dalbandin wie frisch gebügelt und wir konnten uns ganz der vor unseren Augen ausgebreiteten Sandwüste widmen. Was für eine Landschaft! Dank der guten Straßen hätte man theoretisch gesehen sehr zügig das Tagesziel erreichen können. Doch diese ganze Eskorten-Sache ließ ein Vorankommen nur im Schneckentempo zu. Alle 30-60km wurde der Mann ausgetauscht und jedes Mal mussten wir uns in eines der Bücher eintragen. Danach wurde immer ganz wichtig telefoniert. War kein Handy zur Hand gab es tatsächlich auch das  Feldtelefon mit Kurbel! Einmal fragten wir, wer denn angerufen werden würde. Islamabad. Da die Jungs sichtlich breit waren und einer von ihnen auch keinen Hehl daraus machte und sich ein Stück Peace in die Backe schob, zogen wir es vor, einfach weiterzufahren. Es gab den obligatorischen Blick auf Ole und erst dann wurde das Seil zum herüber fahren herunter gelassen. 

Das Prozedere an den Kontrollstationen konnte seine zwanzig bis dreißig Minuten dauern. Und das alles für ein paar Daten und einen Fahrerwechsel. Was am Anfang noch ganz lustig war, ging uns immer mehr auf die Nerven. Für die Strecke von der Grenze bis nach Dalbandin brauchten wir fast 7 Stunden! Erst dann waren wir am Hotel eingetroffen und hatten endlich Ruhe auf dem Hinterhof. 

 

Die nächste Tagesetappe sollte bis nach Quetta gehen. Es warteten wieder 300km auf uns, diesmal aber mit abenteuerlichen Straßen. Erst war es nur Geholper und Geruckel, dann war die Straße nur noch einspurig, übersät von Schlaglöchern und manchmal nur noch Schotterpiste. Speedbreaker wurden gefährliche Hürden, wenn man sie zu spät sah und so konzentrierten wir uns überwiegend auf die Fahrbahn. Das Ausweichen der entgegenkommenden Fahrzeuge wurde ab nun zur Mutprobe. Die Frage war: Wer bleibt länger auf der Fahrbahn? Am Anfang landeten wir im Schotter, dann hatte Till keine Lust mehr und wich nicht mehr aus. Kurz vorm Knall rissen die Pakistanischen LKW-Fahrer grundsätzlich das Steuer um. Wir hatten gewonnen!

 

Die Lust der Eskorten zum Mitfahren ließ ab Dalbandin nach. Schon die erste Kontrolle morgens um acht Uhr ließ uns ohne Begleitung weiterfahren und wir hatten die ersten 100km für uns alleine. Doch dann war wieder ein Seil über der Straße gespannt, wieder wurde genau Buch geführt über uns und wir mussten warten. Auf die Polizei, die jetzt in Dalbandin losfahren würde, um uns zu begleiten. Wir zeigten ihm mental den Vogel. Wir hatten bis hierher eineinhalb Stunden gebraucht! Hallo? Wir wollen heute noch in Quetta ankommen. Zehn Minuten später durften wir ohne Begleitschutz weiterfahren. Doch auch dies dauerte nicht lange bis wieder eine Straßensperre errichtet war. Nun musste doch einer mitfahren. Er hatte noch nicht einmal eine Wumme dabei. Wahrscheinlich brauchte er auch nur eine Mitfahrgelegenheit, denn 10km später warteten seine Kollegen im Jeep. Er stieg aus und nun wurden wir im Jeep eskortiert. Das war entspannt auszuhalten. Die weiteren in immer kürzer werdenden Abständen errichteten Straßensperren allerdings nicht. Tills Stempel, die wir eigentlich für das Carnet hatten anfertigen lassen, kamen inzwischen wunderbar an. Name, Kennzeichen, Land und Passnummer wurde nun gestempelt, während ich gleichzeitig meine Sachen hinkritzelte. Profi-Mäßig waren wir nun immer sehr zügig fertig und bereit für die nächste Diskussion über Eskorten , die wir mal wieder auf dem Weg verloren oder im Vorfeld gar nicht hatten und auch für die nächste Strecke nicht wollten. Diskussionen, die wir erstaunlicherweise oft gewannen. 

Die gewünschten Daten-Eintragungen in die Bücher auf der gesamten Strecke waren teilweise sehr unterschiedlich. Ab und an wollte man weder Kennzeichen noch Uhrzeit, stattdessen aber wieder Start- und Zielort. Manchmal auch die Farbe des Autos oder die Marke. Zwischendurch hatten wir auch das Gefühl, dass manche der Jungs weder lesen noch schreiben konnten, denn trotz eines gestempelten und entsprechend sehr leserlichen „Germany“ wurden wir auch nach dem Blick ins Buch gefragt, woher wir kommen. Wenn wir komplett leere Seiten vor die Nase bekamen, gestalteten wir die Daten-Spalten nach unserem Gutdünken und stempelten wahllos drauf los. Es schienen alle mit unserer Buchführung zufrieden zu sein, es wurde nie gemeckert, auch wenn ich in den Büchern oft nur noch mit Vornamen erwähnt wurde, um Zeit zu sparen.

 

Auf unserer Tagesetappe nach Quetta hatten wir uns nach über 9 Stunden Fahrt auf heftigen oder nicht vorhandenen Straßen in bestimmt 10 Bücher eintragen müssen, hatten nur einen Mitfahrer und 3 Jeep-Eskorten und unglaubliche Schmerzen im ganzen Körper, besonders im Nacken. In Quetta stiegen wir im Bloom Star Hotel auf dem Parkplatz ab. Hier erfuhren wir, dass unsere geplante Strecke von Quetta über Loralei nach Multan aus Sicherheitsgründen nicht mehr gefahren werden durfte und wir über Sukkur fahren müssten. Und auf dieser Strecke bis Sukkur zählten wir bis zum Eintreffen am nächsten Abend 12 Jeep-Eskorten und 5 weitere Eintragungen in Bücher....

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