Der Goldene Tempel – der Himmel auf Erden

Amritsar war eine klassische indische Stadt: wahnsinniger Verkehr, heftiger Abgasgestank und ohrenbetäubender Lärm. Doch mittendrin ein Ort der absoluten Ruhe und totalen Spiritualität: Der Goldene Tempel.

Selbst am Eingang zum Heiligtum der Sikhs herrschte noch wildes Treiben und wir wurden von einem Verkäufer überrumpelt, Kopftücher zu kaufen, da man ohne diese Haarbedeckung nicht in den Tempel darf. Dass man ein paar Meter weiter welche umsonst bekommt, stellten wir erst fest, als wir unsere orangenen Tücher samt Druck bereits hatten. Natürlich betrat man den Tempel ohne Schuhe, die man an der wuseligen Schuh-Garderobe abgeben musste.

Wir wussten nicht, was uns erwarteten würde und betraten durch die Wasserbecken gegen den Schmutz an den Füßen den Bereich der Tempelanlage. Über Marmortreppen gelang man ins Innere der Anlage und vor uns tauchte ein goldener strahlender Tempel auf, der in einem rechteckig angelegten See stand und sich spiegelte. Gänsehaut am ganzen Körper! Die Sonnenstrahlen brachen sich auf dem Gold. Alles glitzerte. Um den See herum liefen zahlreiche Sikhs, die man an ihren Turbanen erkannte. Sie wuschen sich im See, knieten nieder, meditierten am Rand. Aus den Lautsprechern ertönten Guru Gesänge. Eine unfassbar friedliche und stimmungsvolle Atmosphäre hüllte uns ein.  Wir waren zwar Touristen und keine Sikhs, doch das störte hier nicht. Für die Sikhs war jeder herzlich willkommen, ob arm, ob reich, ob schwarz ob weiß, ob Muslim, Christ, Hindu, Jude oder Sikh. Es spielte keine Rolle. In einem Teil der Anlage wurde Essen zubereitet: Dahl, Milchreis und Chapati-Brot. Denn jeder Pilger, Bedürftige oder einfach nur Interessierte oder Hungrige, hatte die Möglichkeit hier zu Essen. Der offene Küchenbereich war gigantisch. Auf dem Boden saßen zahlreiche Frauen, die das Essen schnibbelten, daneben war die Abwaschküche, wo nochmal mindestens 50 Menschen arbeiteten. Ein ohrenbetäubender Lärm herrschte hier durch das Geklapper der Metallteller und Metallschüsseln. Dahinter befand sich der Essens-Saal. Und hier saßen wir nun in Reihen mit Hunderten von Sikhs auf dem Boden samt Metallteller und aßen Dahl, Milchreis und Chapati-Brot. Das einzig nicht spirituelle war die große Kärcher-Reinigungsmaschine, die zum Schluss durch die Reihen fuhr. Die letzten, die hier saßen, auch wir, mussten die Teller und Füße hochnehmen, damit die Reinigungsmaschine dort lang fahren konnte. Schließlich musste es für den nächsten Schwung hungriger Menschen wieder alles sauber sein und ich war nicht die einzige, die Dahl auf den Boden geklettert hatte. Täglich werden hier bis zu 30.000 Menschen satt, zu Pilger-Festivals sogar das Doppelte! 

 

 

Wir warfen eine Spende in den Topf und pilgerten weiter im Uhrzeigersinn um den See. Über eine Brücke gingen wir mit einem Schwung an Sikhs auf den Goldenen Tempel zu. Beim Eintreten in das Menschen überfüllte Innere sahen wir sechs Gurus, die wir bisher nur über die Bose-Lautsprecher gehört hatten. Es war tatsächlich Live-Musik. Sie sangen den ganzen Tag Zeilen aus dem heiligen Buch während die Sikhs ihre Opfergaben überreichten, meditierten und beteten. Auch ein Stockwerk höher sowie an diversen anderen Orten in der Tempelanlage saßen junge Sikhs, die aus Büchern lasen oder sangen. Am Abend lernten wir den Shik Channey kennen, der uns erklärte, dass jeder Sikh, der sich an die traditionelle Lebensart hält, hier für ein paar Stunden lesen darf. Diese Lesungen seien bereits für Jahre ausgebucht und scheinbar muss man auch dafür bezahlen. Channei selbst darf hier nicht lesen, denn er lebt nicht traditionell. Tradition würde für ihn bedeuten, er dürfe sich nicht die Haare und den Bart schneiden, müsse vegetarisch leben und dürfe nicht dem Alkohol frönen. Und wie soll das bitte gehen, denn Canney ist festes Mitglied in einem Alkohol-Club, wo der Whiskey in rauen Mengen strömt! Trotzdem ist er jeden Abend hier und glaubt fest an die Sagen seiner Religion: an den Sikh, der im Kampf seinen Kopf verloren hat, weitergekämpft hat und mit Kopf unter dem Arm seinen Termin am Goldenen Tempel eingehalten hat und an den See, der alle Krankheiten heilt, wenn man sich drin wäscht. Zu Silvester ist er jedes Jahr hier und bittet um die Vergebung seiner Sünden und ein weiterhin gesundes Leben. 

 

Wir genießen die friedliche und überwältigende Stimmung am Abend. Der Tempel strahlt bei Dunkelheit noch mehr Schönheit aus, als er es am Tag schon tut. Die meisten kommen deshalb zum Abend hierher. Auch, um der Zeremonie beizuwohnen, wenn das heilige Buch aus dem Tempel wieder an seinen Nachtplatz zurück getragen wird, bis es vor Sonnenaufgang wieder heraus geholt wird und die Gesänge weitergehen. In der Nacht werden die Böden des Tempel mit besonderer Milch gewischt.  Die Vögel, die in den Bäumen direkt über unseren Köpfen in Ruhe und friedlich schlafen, lassen den heiligen Ort noch harmonischer wirken. Es ist nicht gelogen, wenn ein Sikh behauptet, hier wäre der Himmel auf Erden.

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Lange (Montag, 04 Januar 2010 15:00)

    Gut,dass es das Internet gibt. So hat man das Gefühl, ihr seid nicht ganz so weit weg;)