Einmal Erleuchtung, bitte!

Da, eine Tata Werkstatt! In Varadora ging unser Express-Highway direkt an einer Indian Oil Tankstelle mit Werkstatt vorbei. Wir hatten Rajastan inzwischen wieder verlassen und waren nun in Gurajat, dem nächsten Bundesstaat auf unserer Strecke. Vielleicht hatten sie hier ja zwei neue Hinterreifen für uns oder können uns welche organisieren? Fragen kostet nichts und schon nahm die nächste Geschichte ihren Lauf. 


Wir waren nicht mal fünf Minuten auf dem Hof, da krabbelte ein klitzekleiner Inder samt Fettpresse unter unseren Frosch. Während wir beim Abschmieren immer liegen, konnte er tatsächlich unter dem Fahrzeug hocken! Und so bekam der Frosch seine zweite und tatsächlich professionelle Schmierung. Da hätten wir uns die Arbeit samt dem kleinen Unfall mit der Fettpresse und meinem eingequetschten Stück Haut eigentlich sparen können. Der kleine Mann hockte also unterm Frosch und Raju, der Chef des Tankstellen Imperiums samt angrenzender Trucker-Restaurant-Bude, telefonierte fleißig auf zwei Handys. Neue Reifen? Da hörten wir sein „Don´t Worry“ zum ersten Mal. Er telefonierte und telefonierte. Danach durften wir abwarten und Caytee trinken! Eine Stunde später fuhr eine Riksha samt Reifen auf der Ladefläche vor. Unser Anschau-Exemplar. Das wäre der Reifen, aber statt 10.00 würden wir ihn in unseren benötigten Abmessungen (12.00) bekommen. Deal! Die  Reifen sollten spätestens um 9 Uhr am nächsten Morgen eintreffen. Natürlich waren am nächsten Morgen um 10 Uhr immer noch keine Reifen da. Also mussten wir wieder warten. Und Tee trinken in der Trucker-Restaurant-Bude. Alle zwei bis drei Stunden kam dann die Info: „Don´t worry! They will be here within the next two hours.“ Aber die Reifen kamen nicht. Wir hingen also mal wieder einen Tag bei 30 Grad an einer Highway Tankstelle ab, tranken leckeren Tee und ließen derweil unseren abgebrochenen Auspuff schweißen. Wenigstens etwas sinnvolles an diesem Tag. Die Werkstatt zum Schweißen war um die Ecke und auch wieder mehr als abenteuerlich, doch Till war äußerst zufrieden mit der Arbeit und dem Endergebnis. Genauso hatte er sich die Reparatur und das neue Auspuffstück vorgestellt. Danach machten wir wieder das, was wir an diesem Tag am besten konnten: Tee trinken. Dabei beobachteten wir einen kleinen Unfall an der Tankstelle: Mann im schwarzen kleinen Neuwagen fährt vorwärts, blickt aber die ganze Zeit nach hinten zu den Deutschen mit dem Hund. Das ist ja auch viel spannender. Gleichzeitig setzt ein großer, schwerer LKW zurück und LKW und Kleinwagen treffen sich heftig und blechknirschend in der Mitte. LKW gewinnt und ich mache Fotos.

 

Zum Sonnenuntergang kam nach der ganzen Warterei plötzlich eine unglaubliche Hektik auf: die Reifen waren da! Und ehe man sich versah, standen zwanzig Inder um unseren Frosch und fingen an, Radmutten abzuschrauben und gleichzeitig den Frosch aufzubocken. Bei Dunkelheit? Wir mussten Taschenlampen holen, die Inder waren nicht mehr zu stoppen. Es war ein unglaubliches Gewusel und ich in großer Sorge, dass jetzt noch etwas kaputt gehen würde. Gemeinsam versuchten Till und ich zu retten, was zu retten war. Da war es wieder, das „Don´t Worry“ von Raju. Mir platzte der Kragen. Diese ganze Arbeitsweise war weder effizient noch irgendwem nützlich und zum Schluss sollten wir die Leidtragenden sein, weil ein Haufen tatkräftiger Jungs nicht nachgedacht hatte und noch mehr kaputt gegangen war? Natürlich endete mein Gefühlsausbruch in einer gewissen Disharmonie zwischen Till und mir und machte die gesamte Situation auch nicht besser. Als der erste neue Reifen auf die Achse gewuchtet wurde, konnte man nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wieso passten die Radmuttern wohl plötzlich nicht mehr? Weil die Felge nach innen zeigte und somit das Rad komplett falsch herum auf der Achse saß. Ich war fertig mit den Nerven. Wie konnten die Inder so sein? Natürlich wollten alle nur helfen, aber diese vielen Leute, die alle mit anpacken wollen und dazu diese Art, einfach zu machen ohne die Folgen zu bedenken. Oder war das die indische Tiefenentspanntheit? Oder gar Erleuchtung? Dinge hinzunehmen oder auf eine gewisse Art auszublenden, damit sie einen nicht in Stress versetzen? Dann hätte ich auch gerne einmal Erleuchtung, bitte! 

 

Glücklicherweise schafften es die Inder trotz Dunkelheit beide Räder ordnungsgemäß zu montieren. Am nächsten Morgen wuchteten wir das alte, noch heile Hinterrad ohne Felge aufs Dach. Das war das einzige, was die Galgenkonstruktion schaffte. Das Reserverad mit Felge war dafür einfach zu schwer. Also mussten wir den Galgen wieder auf dem Dach verstauen oder doch einfach hier an der Tankstelle lassen? Man konnte gar nicht so schnell schauen, schon war ein Inder bei uns oben auf dem Dach. Wie hatte er es an Ole vorbeigeschafft? Hatte er Ole einfach ausgeblendet? Der Inder wollte Till zur Hand gehen und den Galgen auf dem Dach auseinanderbauen. Als der Galgen drohte auf die Solarpanels zu knallen, war es ein wunderbarer Moment um mit der ersten Übung auf dem Weg zur Erleuchtung zu beginnen: ich schaute einfach nicht hin! Ich hielt mich raus und überließ die verbale Notbremse Till. Es funktionierte. Der Inder ließ die Panels heile und der Galgen wurde bei der nächsten Möglichkeit entsorgt. Wozu das Teil durch die Gegend fahren, wenn es zu schwach ist für den Notfall? Wie der Reifen runter kommt, wissen wir ja. Und um den 130kg Reifen auf unser Dach zu bekommen, bedarf es noch nicht mal zwingend eines Gabelstaplers. In Indien braucht man hierfür nur drei Dinge: einen Pickup Truck, einen Tank-Laster und ein Seil. Das Ersatzrad wird auf den Pickup gewuchtet, von dort mit einem Seil auf den runden Tanklaster gezogen. Dann wird der Frosch so dicht wie möglich am Tanklaster geparkt und das Reserverad einfach herübergewuppt. Problem gelöst. So einfach kann das manchmal sein... 

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Kommentare: 3
  • #1

    toby (Samstag, 26 Dezember 2009 11:44)

    den deko-mann aber zuppzupp hierher! :o)

  • #2

    Der Lange (Montag, 04 Januar 2010 15:21)

    Wollen die hilfsbereiten Leute eigentlich hinterher Scheine sehen?

  • #3

    Amelie (Samstag, 09 Januar 2010 15:58)

    @der Lange: Die hilfsbereiten Inder verlangen hinterher tatsächlich keine Scheine!