Pakistan: Javier überlebt Anschlag

An diesem ausgebrannten Bus fahren wir vorbei. Strecke Quetta-Dalbandin
An diesem ausgebrannten Bus fahren wir vorbei. Strecke Quetta-Dalbandin

Mir ist schlecht und mein Puls rast. Ich habe mir gerade das Video von Javier Colorado angeschaut. Er ist weltreisender Fahrradfahrer und Anfang Februar vom Iran nach Pakistan eingereist und er hat zwei Anschläge innerhalb von 12 Stunden erlebt, ein Anschlag war auf ihn bzw. seine Polizeieskorte gerichtet. Die Strecke von der Grenze bis nach Quetta ist eine der gefährlichsten Teilstücke auf der Überlandreise nach Indien. Es sind 600km bis Quetta - man braucht 2 Tage, 300km extrem schlechte Straßen und eine permanente Polizeieskorte, die einen vor Entführungen beschützen soll. Dass dies nicht immer funktioniert hat im März 2013 das Beispiel der zwei Tschechinnen gezeigt....

...Die Cops wurden einfach erstmal mitentführt und später freigelassen. Was aus den Tschechinnen geworden ist: Sie sind immer noch in Hand der Geiselnehmer. Auch Quetta ist nicht ohne. Talibanhochburg und Schauplatz von zahlreichen Anschlägen. Im Februar 2013 kam es wieder zu Anschlägen in Quetta gegen die schiitische Minderheit. Es kam zum Aufstand und sie ließen die Leichen auf den Straßen. Man sagt sogar, sie hätten damit Barrikaden gebaut.


Unsere vierte Durchquerung des gebeutelten Landes war im April 2013. Mir war wieder mulmig zumute. Wird es wieder Unruhen in Quetta geben? Quetta ist eine Stadt die man kaum umgehen kann. Ich fürchtete mich vor Tanklastern, die vor uns in die Luft fliegen und war jedesmal froh, wenn sie überholten und weit genug entfernt waren bzw. wir sie überholen konnten. Ich hatte Angst in eine Situation hereinzurutschen aus der man nicht unbeschadet wieder herauskommt, weil man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Die ausgebrannten Fahrzeuge auf der Strecke von Jakobabad nach Quetta und Quetta nach Taftan ließen dieses Gefühl nicht weniger werden. Ich hatte mir geschworen, wenn wir heile durch kommen, fahre ich nie wieder durch Pakistan.

Jetzt sitze ich hier im Bus vor meinem Laptop und empfinde wieder die gleichen Gefühle, wie damals bei der vierten Pakistandurchquerung. Das Video von Javier Colorado: Es fängt ganz harmlos an. Er ist im Iran vor der Grenzstadt Zahedan und erzählt auf Spanisch, was er erlebt. Die Polizeieskorten, die man spätestens ab diesem Stück bis zur Grenze nach Pakistan nicht mehr umgehen kann, nehmen sein Fahrrad auf die Ladefläche des Pick-Ups, er fährt auf dem Beifahrersitz mit. Lässig rollt er sich sein Fladenbrot zusammen, der Fahrer lehnt dankend ab. Man sieht, wie er über die Grenze nach Pakistan kommt. Es ist, als ob wir wieder dort einreisen. Die Gebäude, die Gesichter, die Gegend - es ist so unglaublich vertraut. Es geht mit Polizeieskorten bis Dalbandin, das Fahrrad auf der Ladefläche, er auf der Rückbank. Sie halten an einer Lehmhaus-Polizeistation, in dem auch wir uns in eines der zahlreichen Registrierungsbücher eintragen musste. Die nächste Sequenz zeigt ihn im Hotelhof in Dalbandin. Unser Hotel. Unser Security-Mann. Am nächsten Morgen geht es weiter Richtung Quetta. 50km vor Quetta an einer Polizei-Kontrollstation explodiert vor ihm ein Bus während er filmt. 25 Insassen sterben. Er versteckt sich hinter einer Mauer. Ich verstehe leider kein Spanisch, aber ich habe das Gefühl, ich sitze mit ihm hinter dieser Mauer. Eben noch alles ok und eine Sekunde später findet man sich in der lebensbedrohlichsten Situatiuon seines Lebens wieder. Sie bleiben über Nacht an dieser Station. Nur er darf am nächsten Morgen mit seiner Polizeieskorte weiterfahren. Kaum haben sie den Tatort verlassen fliegt die nächste Granate, es fallen Schüsse. Der Film geht erst weiter als er auf dem Boden des Pick Ups liegt und in die Kamera spricht. Er ist leicht verletzt. Er blutet am Hals. Sie schaffen es, aus dieser Situation herauszukommen. Er wird in einem Militärkrankenhaus in Quetta behandelt und kann von hier aus Kontakt zur Botschaft aufnehmen. Er sagt, er ist der einzige, der verletzt wurde.

Die Presse behauptet, es wurden 6 Polizisten getötet bei diesem zweiten Anschlag. Javier sagt, es stimmt nicht. Es gibt dazu ein Bild mit einer Blutlache auf der Pritsche des Pick Ups. Soviel Blut kann Javier nicht verloren haben. Wurschtelt die Presse da mal wieder was zusammen? Damit es noch reißerischeren Charakter hat? Javier schuld am Tod von 6 Eskorten steht irgendwo geschrieben. Schuld hat er mit Sicherheit nicht. Die Anschläge galten den Polizisten und nicht ihm. Was wiederum den Teufels-Kreis schließt: Polizisten sind angesetzt um vor Entführungen zu schützen und bringen die Durchreisenden gleichzeitig als Target in Gefahr.


In meinen Buch "Abenteuer Hippie Trail" schreibe ich nach der zweiten Pakistan-Durchfahrt, dass ich mich sicher gefühlt habe und jederzeit wieder durch Pakistan fahren würde, dass man sich einfach nur perfekt durchorganisieren muss. Wir waren perfekt durchorganisiert bei der dritten Durchfahrt im Herbst 2012. Damals wurde von der Regierung in Quetta die benötigte NOC eingeführt, die man dort beantragen muss und ohne die man nicht weiter durch Beluchistan fahren darf. Das NOC Papier würde die Sicherheitsbegleitung des Durchreisenden gewährleisten.

Nach meinem mulmigen Gefühl nach der dritten und vierten Durchquerung plus diesem Video von Javier sitze ich zwar jetzt gerade hier im Bus in Portugal wieder mit den gleichen Gefühlen aber auch mit Gefühlen der unendlichen Dankbarkeit, dass unserer kleinen Familie in Pakistan nie etwas passiert ist.

Im zweiten Augenblick denke ich an Marco. Er pendelt mit seinem blauen Bus Jahr für Jahr zwischen der Schweiz und Goa hin und her. Jedes Frühjahr und jeden Herbst fährt er durch Pakistan. Seit 10 Jahren. Ich weiß nur, er pfeifft auf NOCs, was soll ihm auch eine Eskorte bringen, die nur Zeit und Nerven kostet und keine Scherheit bedeutet. Er ist bisher immer gut durch Pakistan durchgekommen. Ich hoffe inständig, dass dies bitte immer so bleiben wird!! Und ich denke an Armin, den wir 2009 in Goa kennengelernt haben. Er ist diesen Winter wieder nach Goa gefahren. Ich erinnere mich an unser Telefongespräch kurz nach dem wir im letzten Frühjahr zurück in Deutschland waren. Er wollte wissen, wie Pakistan war. Er hat lange überlegt und es dann trotzdem wieder gewagt. Und bei ihm hoffe ich, dass er seinen Landcruiser einfach in einen Container steckt und verschifft und selber den Heimweg mit dem Flugzeug antritt. Cristian und seine Familie wollten diesen Winter auch wieder über den Landweg nach Indien. Im Iran wurden ihnen alle Pässe und die Fahzeugpapiere mit Carnet de Passage gestohlen. Sie konnten nicht weiter nach Pakistan und Indien und sind seit dem im Iran. Wer weiß, wozu es gut war, dass ein Dieb am Werk war, hab ich damals gedacht und denke ich auch heute.
Es schreiben mich immer wieder Leute an, die auch eine Reise auf dem Hippie Trail machen wollen und was ich zur jeweiligen Situation in Pakistan meine. Wenn Pakistan 2009 und 2010 noch im Verhältnis ok war, so war mein Empfinden, dass es 2012 schlimmer wurde und 2013 noch schlimmer. Mein Fazit nach dem Video von Javier Colorado: Die Strecke Taftan-Quetta ist inzwischen einfach zu heiß und zu gefährlich. Und wenn die Pakistanis selbst die Strecke Taftan Quetta für Ausländer sperren und derzeit keine NOC ausstellen, dann tun sie das wahrscheinlich nicht, um Reisende zu ärgern.

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Kommentare: 3
  • #1

    shogun (Samstag, 22 Februar 2014 18:44)

    Harter Tobac...
    Ich glaub, so schön kann ein Land gar nicht sein, dass ich dafür 600km in einer Polizeieskorte fahren möchte...

  • #2

    H.D. (Sonntag, 23 Februar 2014 19:19)

    Da spielt wohl auch die Situation mit dem Iran mit rein, die Grenze soll ja angeblich gerade dicht sein. Iranische Grenzer auf pakistanischer Seite erschossen bzw. verschleppt: http://m.spiegel.de/politik/ausland/a-953978.html

  • #3

    H.D. (Sonntag, 23 Februar 2014 19:22)

    Sorry falsch gelesen: Pakistanische Rebellen auf Iranischer Seite gewesen.