
Man muss das Kind nicht immer beim Namen nennen. Deswegen hieß Kindergarten bei uns in den letzten Wochen auch immer Spielschule, denn Theo wollte auf keinen Fall in den Kindergarten!
Seine ersten Kindergarten-Erfahrungen hatte er im zarten Alter von 2 Jahren im Hippie-Kindergarten in Goa. Es war super für ihn. Er durfte bei den Inderinnen alles als „Nasty Boy“. Er schmiss lachend Spielzeug über die Mauer in den Nachbargarten, lachte sich danach mit seinen Erziehrinnen scheckig und raufte mit seinem Kumpel auf Spielmatten herum....
....Er lernte aber auch eine ganze Menge. Er sang mit voller Inbrunst englische Lieder wie „The Wheels on the Bus Go Round and Round“ oder „6 Green Bottles“. Er konnte auf die Fragen „How are you?“ und „How old are you“ „fain“ und „tu“ antworten – allerdings nur, wenn die Fragen in der richtigen Reihenfolge gestellt wurden. Es war entzückend. Leider hat er das und die Lieder wieder vergessen. Ich liebte den Kindergarten damals nicht nur dafür, sondern auch, weil Theo plötzlich alleine essen konnte! Das Lernen und Abgucken von anderen Kindern ist einfach unbezahlbar. Wir mussten ihn endlich nicht mehr füttern. Was für ein Segen, nur noch das Hugo-Kind mit seinen damals 6 Monaten, was gefüttert werden musste!
Was in Goa absolut in Fleisch und Blut übergegangen ist: Schuhe ausziehen, wenn man irgendwo reinkommt. Wenn eure Kinder euch damit zur Weißglut bringen, weil sie immer den Dreck mit ihren Schuhen durchs Haus schleppen: Schickt sie nach Indien! Oder droht wenigstens damit…
Als wir damals nach 5 Monaten aus Goa abreisten, fing er an, seinen Yellow-House Kindergarten sehr zu vermissen. Er sprach nur noch davon, wieder „nach Hause“ und in den Kindergarten zu wollen. Da brach ein bisschen mein Mutterherz, weil ich mein Kind aus einem ihm so lieb gewonnenen Platz herausreißen musste. Es dauerte eine Zeit lang, bis er unseren blauen Bus als sein „Zuhause“ ansah, egal, an welchem Ort wir waren.
Die Damen vom Grill und das Besucherkind
Während unserer „Sommerresidenz“ auf der Pferdewiese meiner Freundin bei Hamburg wohnten wir 300 m vom ansässigen Kindergarten entfernt. Ganz klar, was passierte: der kleine 2,5 jährige Theo spazierte eines Tages von alleine los, er wollte schließlich in den Kindergarten. Und wenn ihn da schon keiner hinbringen würde, würde er halt alleine losziehen. Gesagt getan. Ich sah ihn nur noch von Weitem und hatte ihn eingeholt, als er gerade das Tor zum Kindergarten erreicht hatte. Wie schnell kleine Kinderbeine sein können, wenn sie was wollen…
Ich setzte alle Hebel in Bewegung, damit sein Wunsch erfüllt wurde und er für 3 Monate dort in die Gruppe als Besucherkind aufgenommen wurde. Es klappte, aber es war der größte Fehler. Die Erzieherinnen interessierten sich mehr für ihr Gequatsche oder ihre ehe-ähnlichen Streitigkeiten als für die Kinder an sich und schon gar nicht für ein Besucherkind. Till fand die ganze Kindergarten-Idee eh nicht so gut, weil Theo auch noch keine 3 Jahre alt war. Ich hingegen freute mich über ein kleines bißchen Zeit für mich. Till waren die „Damen vom Grill“ suspekt. Mir allerdings auch. Aber Theo wollte ja unbedingt. Eigentlich hätten wir da schon abbrechen sollen. Aber so etwas weiß man ja hinterher eh immer am besten. Und so kam es, dass der erste Tag nach der Eingewöhnungszeit sofort in die Hose ging. Theo wurde auf übelste Art und Weise von den großen Kindern geärgert und es kam ihm von den großen Erwachsenen keiner zur Hilfe. Falls da überhaupt mal ein Vertrauensverhältnis angedacht war, war das auf jeden Fall jetzt schon richtig im Eimer. Über diesen ganzen Vorfall wurde ich natürlich nicht von den Erziehrinnen informiert, sondern von einer Mutter, die sich bei mir für das Verhalten ihres Sohnes entschuldigte! Ich stand da und bekam Antworten auf die Fragen, die in meinem Kopf herumschwirrten, seit dem Theo irgendwas von „Sand in die Augen, Haare ziehen“ gesagt hatte. Endlich machte das, was Theo mir versucht hatte zu erzählen, einen Sinn und ich verstand, warum er sich auf der Toilette einschloß und wegrannte, als nur das Wort „Kindergarten“ fiel! Wir meldeten ihn direkt wieder ab. Das Thema Kindergarten war durch. Für Theo stand fest, entweder zurück zu Sanjuni, seiner geliebten Erzieherin in Goa, oder nie wieder Kindergarten, dafür bitte direkt in die Schule!
In Portugal sprach er immer öfter davon, dass er mit anderen Kindern in die Schule gehen möchte. Und auch zurück in Deutschland auf Spielplätzen war er den ganzen Tag nicht mehr zu sehen. Er integrierte sich so gut in Ausflugs-Kindergärten, dass sie ihn fast im Bus mit zurückgenommen hätten. Es war mehr als eindeutig, dass er reif war für den nächsten Versuch und er in Wietzen sofort in der Schule angemeldet werden sollte. In der Spielschule versteht sich. Theo war sofort Feuer und Flamme.
Waldkindergarten oder klassischer Kindergarten?
Wietzen hat gleich 2 Kindergärten zu bieten. Kleines Dorf, viele Kinder – hervorragende Rahmenbedingungen! Der eine Kindergarten ist der „klassische“ Kindergarten, der andere ein Waldkindergarten. Und Waldkindergarten schreit ja förmlich danach, unsere erste Wahl zu sein. In der Theorie. In der Praxis sah das aber so aus, dass wir vom klassischen Kindergarten sofort auf unsere Email eine Antwort bekamen und ein paar Tage später schon den Kindergarten anschauen konnten. Das Gebäude war gerade erst bezogen, entsprechend waren wir erst einmal baff, was es denn heutzutage alles so gibt. Alleine die Schallschutzmaßnahmen sind beeindruckend, mal ganz zu schweigen von dem eigenen Matschraum, den die Kinder haben, wo sie mit Wasser herumsauen können, wie sie wollen. Aber braucht man das alles? Wäre Waldkindergarten und Natur nicht viel schöner? Der erste Eindruck vom neuen Kindergarten samt deren Mitarbeiter war sehr sympathisch. Wir mochten das Konzept mit der direkten Anbindung an die Grundschule, die genau gegenüber ist. Und wären hier auch nur ansatzweise die drei Damen vom Grill gewesen, wir hätten sofort abgebrochen. Entscheidend war aber nach unserem Kindergarten-Rundgang, dass wir unsere Kinder in der Kinderschar nicht mehr finden konnten. Vertieft ins Spielen und überhaupt nicht willig, dieses Kinderparadies jemals wieder zu verlassen! Nur mit Geschrei und Gezeter konnten wir sie geschultert wieder mit vor die Tür nehmen. Sie hatten entschieden, das hier war ihre Spielschule!
Wir hatten nun also den Platz für Theo nach den Sommerferien und für Hugo ab Januar 2015. Auch dafür liebe ich Dorfleben ja – wenn ich mir überlege, wie diese ganzen Auswahl-Verfahren in Hamburg sind mit Kita-Gutscheinen und Co. und dass man das Kind schon vor der Geburt im Kindergarten anmeldet. Das wäre ja was für mich.
„Ich schmeiß dich jetzt raus!“ machte mich zur glücklichsten Mutter.
Die Eingewöhnungsphase nach den Sommerferien lief super. Ich gab Theo morgens in seiner Gruppe ab und ging dann in mein „Home Office“, das für 1,5 Wochen im Mitarbeiterraum des Kindergartens ansässig wurde. Theo kam den ersten Tag öfter zu mir. Am Zweiten schon nicht mehr. Am siebten Tag war für mich die Eingewöhnungsphase abgeschlossen. Für Theo und Till noch nicht so ganz. Aber auch dafür gaben die Erzieherinnen Hilfestellung. Sie filmten Theo nach der morgendlichen Verabschiedung sowie während des Tages beim Spielen und zeigten uns beim Abholen, dass es Theo tatsächlich bestens ging und er mächtig viel Spaß hatte. Theo war dabei, als wir uns das Video anschauten, und irgendwie schien auch bei ihm in dem Moment der Knoten zu platzen. Er verkündete am nächsten Morgen auf der Hinfahrt: „Ey Mama, ich muss gar nicht weinen, ich schmeiß dich heute raus.“ Und dann schmiss er mich raus, wie es ritualsmäßig alle Kinder mit ihren Eltern machten, wenn Mama oder Papa morgens wieder gehen durfte. Und ich war in diesem Augenblick die glücklichste Mutter in ganz Wietzen, als er mir auch noch Handküsschen zuwarf und freudig und stolz zurück in seinen Gruppenraum lief. Mein Baby! Fast erwachsen!

Sozialkompetent und ein gutes Selbstvertrauen
Letzte Woche hatten wir dann das Erstgespräch, wie sich Theo im Kindergarten machen würden. Für uns war es schon fantastisch, dass wir einen großen Entwicklungssprung nach dem nächsten feststellten. Sich selber an- und ausziehen. Alles alleine machen wollen. Mit einem Messer das Würstchen selber klein schneiden. Im Stehen pinkeln!! Das will man als Mutter nicht unbedingt aus putztechnischen Gründen, aber es war das Erste, was er konnte. Direkt in der ersten Woche. „Maamaaa, guck mal, was ich kahann! Das hat mir Louis gezeigt!“ Und so geht es munter weiter.
Ich komme derzeit aus dem Staunen nicht heraus. Aber das Gespräch toppte meine eigenen Beobachtungen. Und was die Erzieherinnen so erzählten, ging runter wie Öl! Er wäre ein toller Junge mit sehr gutem Sozialverhalten und einem gesunden Selbstvertrauen. Er geht auf alle ganz offen zu. Er hat kein Problem als einer der Jüngsten vor der kompletten Kinderschar zu stehen und etwas zu versuchen, was er eigentlich noch gar nicht kann und auch nicht können muss. Er zettelt keine Streitigkeiten an, zieht sich eher aus so etwas zurück. Er pendelt fröhlich zwischen den Gruppen hin und her, hat in beiden Gruppen seine festen Freunde. Er folgt den Regeln und fragt nach, wenn er etwas nicht versteht. Er ist einsichtig, er probiert alles beim Mittag, er isst alles…. Zwischendurch musste ich dann schon noch mal spaßeshalber fragen, ob wir da jetzt immer noch von Theo sprechen würden. Denn zu Hause ist er selbstverständlich oft das komplette Gegenteil.
Aber, ich finde, so darf das auch mal sein. Zuhause, wo man ihn auch immer noch genauso lieb hat, wenn er mal so richtig daneben liegt in seinem Verhalten, da darf er sich ausprobieren, Grenzen testen. Und wenn dabei dann ein sozialkompetenter Junge dabei rauskommt, würde ich sagen: alles richtig gemacht!
Alles richtig gemacht!
Nach dem Gespräch rief ich als erstes Till an, um ihm genau das zu sagen und dass wir stolz sein dürfen. Auf unser Kind und auch einfach mal auf uns. Dass wir richtig gehandelt haben, als es uns egal war, als man uns belächelt hat, dass wir unsere Kinder im ersten Lebensjahr nicht schreien lassen, dass unsere Kinder mit in unserem Bett schlafen, dass wir für Theo nicht einmal einen Kinderwagen hatten, sondern immer nur ein Tragetuch. Dass uns direkte Nähe immer sehr wichtig war. Dass ich niemals das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ anwenden werde, auch wenn einige wirklich liebe Mütter, die ich kenne, damit ihren wohlverdienten Schlaf zurückgefunden haben und ihre süßen (und sozialkompetenten!) Kinder brav durchschlafen und ich nach 4 Jahren leider immer noch nicht.
#momsrock Blogparade
Für uns ist unser grundsätzliches erstes Erziehungskonzept „Urvertrauen bilden“ erst mal aufgegangen. Und das tut verdammt gut zu sehen und zu hören und darüber zu schreiben. Viel zu oft macht man sich Gedanken, ob man als Eltern auch wirklich alles richtig gemacht hat, konsequent genug war, liebevoll genug. Das schlechte Gewissen ist immer sofort auf dem Plan und hat uns während des ganzen Kindergarten-Themas seit 2 Jahren begleitet. Sei es das Weinen beim Abschied oder die Geschichte in Hamburg. Deswegen und aufgrund der Blogparade #momsrock von Lucie Marshall hau ich meinen Mutter-Stolz jetzt auch einfach mal raus. Ich freue mich wahnsinnig, dass unser Kind so glücklich ist und wir einen tollen Jungen haben! Ich möchte aber den Hashtag in diesem Fall um #dadsrockengenauso ergänzen, denn das haben wir zusammen hingekriegt!
Hoffen wir, es bleibt dabei, dass Till und ich in der Erziehung überwiegend alles richtig machen. Wir sprechen uns dann in der Pubertät wieder… ;-)
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Chris und Thomas (Mittwoch, 12 November 2014 06:47)
Das liest sich ja sehr schön und ihr dürft stolz sein und seid es ja auch. Und wir haben es ja gleich gewusst ;-))
Ach und: Kurz vor Weihnachten werden wir Oma und Opa....
Daher ab Ende November daheim...dürfen wir die Jungs mal in echt anschauen?
Amelie (Mittwoch, 12 November 2014 07:58)
Ihr werdet Oma und Opa? Das ist ja was! Herzlichen Glückwunsch! Ihr seid immer herzlich willkommen bei uns!! Würden uns freuen, euch zu sehen!